Referendum: Griechen stimmen über Sparvorschläge ab!

3. Erweiterte Fassung: Es ist eigentlich nicht unbedingt die Aufgabe der ABB, sich als regionale Wählervereinigung in die Weltpolitik einzumischen. Wir sehen hier in Bornheim jedoch mit Sorge, wie sich die Politik der EU massiv auf die Kommunen auswirkt. Hier sei als Beispiel das Freihandelsabkommen TTIP und CETA genannt. Leider berichtet unsere Presse im allgemeinen wenig ausgeglichen über das Thema Griechenland. Aus diesem Grunde stellen wir die Rede des griechischen Ministerpräsidenten hier unkommentiert ein. Wir haben einige Informationen über die Sparvorschläge der EU, die die Griechen nicht annehmen wollen veröffentlicht.


Das Ergebnis der Volksabstimmung in Griechenland fiel eindeutig aus:

Die Hoffnungen einiger Regierungen, die Syriza-Regierung würde über ein Positives Votum bei der Volksabstimmung scheitern, erfüllte sich nicht.

NEIN:  61,31 %      Ja: ca. 39 %


Liebe Griechen und Griechinnen,

seit sechs Monaten führt die griechische Regierung den Kampf darum, unter den Bedingungen eines beispiellosen wirtschaftlichen Würgegriffs, das Mandat umzusetzen, das ihr uns gegeben habt.

Unser Mandat bestand darin, das Ende der Austerität (*) mit unseren europäischen PartnerInnen auszuhandeln, damit Wohlstand und soziale Gerechtigkeit in unser Land zurückkehren können. Es war ein Mandat für ein nachhaltiges Abkommen, das zugleich unsere Demokratie und die gemeinsamen europäischen Regeln respektiert und das endlich die Überwindung der Krise erlauben würde.

Während der gesamten Phase der Verhandlungen wurde von uns verlangt, dass wir das von der letzten Regierung geschlossene Memorandum umsetzen sollen, obwohl dieses von den Griechinnen und Griechen bei den letzen Wahlen kategorisch abgelehnt worden war.

Doch nicht eine Minute lang haben wir daran gedacht, uns zu unterwerfen und euer Vertrauen zu verraten. Nach fünf Monaten harter Verhandlungen haben unsere PartnerInnen vorgestern schließlich ein Ultimatum an die griechische Demokratie und die Menschen in Griechenland gerichtet. Ein Ultimatum, welches den Gründungswerten Europas, den Werten unseres gemeinsamen europäischen Projekts widerspricht.

Sie haben von der griechischen Regierung verlangt, einen Vorschlag zu akzeptieren, der weitere untragbare Lasten für das griechische Volk bedeuten würde und die Erholung der griechischen Wirtschaft und Gesellschaft untergraben würde. Dieser Vorschlag würde nicht nur den Zustand der Unsicherheit verewigen, sondern auch die soziale Ungleichheit verfestigen.

Der Vorschlag der Institutionen umfasst Maßnahmen zur weiteren Deregulierung des Arbeitsmarktes, Pensionskürzungen, weitere Gehaltskürzungen im öffentlichen Dienst sowie eine Erhöhung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel sowie in den Bereichen Gastronomie und Tourismus. Schließlich zählt dazu auch die Abschaffung der Steuererleichterungen für die griechischen Inseln.

Diese Forderungen verletzen unmittelbar die europäischen Sozial- und Grundrechte: Sie zeigen, dass einige unserer PartnerInnen nicht ein für alle Seiten tragfähiges und vorteilhaftes Abkommen betreffend Arbeit, Gleichheit und Würde anstreben – sondern die Erniedrigung des gesamten griechischen Volks.

Ihre Forderungen zeigen vor allem das Beharren des Internationalen Währungsfonds auf harter und bestrafender Austerität. Sie zeigen zugleich deutlicher denn je die Notwendigkeit, dass die führenden europäischen Kräfte die Chance nützen, endlich die Initiative zu ergreifen, um die griechische Schuldenkrise ein für alle Mal zu beenden. Diese Krise betrifft auch andere europäische Länder und bedroht die Zukunft der europäischen Integration.

Liebe Griechen und Griechinnen,

die Kämpfe und Opfer des griechischen Volks für die Wiederherstellung von Demokratie und nationaler Souveränität lasten als historische Verantwortung auf unseren Schultern. Es ist die Verantwortung für die Zukunft unseres Landes und diese verlangt von uns, auf das Ultimatum der PartnerInnen mit dem souveränen Willen des griechischen Volkes zu antworten.

Vor wenigen Minuten habe ich in der Kabinettssitzung den Vorschlag gemacht, ein Referendum abzuhalten, damit die Griechen und Griechinnen souverän entscheiden können. Dieser Vorschlag wurde einstimmig angenommen. Morgen wird das Parlament zu einer Sondersitzung zusammentreten, um über den Vorschlag des Kabinetts und ein Referendum am Sonntag, dem 5. Juli, abzustimmen. Die Griechen und Griechinnen sollen entscheiden können, ob sie die Forderungen der Institutionen annehmen oder ablehnen.

Ich habe bereits den Präsidenten Frankreichs, die Kanzlerin Deutschlands und den Präsidenten der Europäischen Zentralbank über diesen Schritt informiert. Morgen werde ich offiziell darum ansuchen, das laufende Programm um einige Tage zu verlängern, damit das griechische Volk frei von Epressung und Druck abstimmen kann, wie es der Verfassung unseres Landes und der demokratischen Tradition Europas entspricht.

Liebe Griechen und Griechinnen,

ich bitte euch, auf das erpresserische Ultimatum, welches von uns harte, entwürdigende und endlose Austerität ohne Aussicht auf soziale und wirtschaftliche Erholung verlangt, auf souveräne und stolze Weise zu antworten – so wie es die Geschichte des griechischen Volks verlangt.

Auf Autoritarismus und brutale Austerität werden wir, ruhig und bestimmt, mit Demokratie antworten. Griechenland, der Geburtsort der Demokratie, wird eine demokratische Antwort geben, die in Europa und der Welt widerhallen wird. Ich verpflichte mich persönlich, eure demokratische Wahl zu respektieren, wie immer sie ausfallen wird.

Und ich bin vollkommen überzeugt davon, dass eure Wahl der Geschichte unseres Landes gerecht werden und der Welt eine Botschaft der Würde senden wird. Wir alle müssen uns in diesen entscheidenden Momenten vor Augen halten, dass Europa die gemeinsame Heimat unserer Völker ist. Doch ohne Demokratie wird Europa ein Europa ohne Identität und Orientierung sein.

Ich lade euch alle ein, in nationaler Eintracht und Ruhe, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Für uns, für zukünftige Generationen, für die Geschichte der Griechinnen und Griechen. Für die Souveränität und Würde unseres Volks.

Alexis Tsipras
Athen, am 27. Juni 2015

(*) Austerität (von altgr. αὐστηρότης „Herbheit“, „Ernst“, „Strenge“) bedeutet „Disziplin“, „Entbehrung“ oder „Sparsamkeit“. Der Begriff wird heute vor allem in ökonomischen Zusammenhängen gebraucht und bezeichnet dann eine staatliche Haushaltspolitik, die einen ausgeglichenen Staatshaushalt über den Konjunkturzyklus ohne Neuverschuldung anstrebt (Austeritätspolitik).


Gregor Gysi zu Griechenland im Bundestag:


Weitere Informationen vom Griechenland Solidaritäts-Kommitee: https://gskk.eu


03.07.2015 13:56
“Dann werden wir ein Balkan-Land”  Ein Riss geht durch Griechenland
Von Jan Gänger, Athen (übernommen von NTV)

Es geht um alles. Wie entscheidet Griechenland am Sonntag? Freundschaften gehen zu Bruch, Politiker schreien sich an: Auf vielen Griechen lastet vor dem Referendum ein immenser Druck. Sie stehen vor einer existenziellen Entscheidung.

Die Griechen sind sich einig – und sind doch tief gespalten. Einig sind sie sich darin, dass die Bilanz der Retterei desaströs ist, die Sparprogramme das Land in eine wirtschaftliche und soziale Krise gestürzt haben. Dennoch geht ein Riss durch Familien, Freundeskreise, die ganze Gesellschaft: Sollen sie den Bruch mit Europa riskieren oder nicht? Es ist eine existenzielle Entscheidung, die die Griechen am Sonntag treffen müssen. Ob morgens in der U-Bahn, mittags vor dem Bankautomaten, im Büro oder abends im Wohnzimmer – es wird nur über ein Thema gesprochen: Was wird die Zukunft bringen? Es wird diskutiert. Und gestritten. “Hier zerbrechen Freundschaften”, sagt ein Arbeitsloser Ende 20. “Kollegen sitzen in der Kantine nicht mehr an einem Tisch oder schweigen sich im Fahrstuhl an”, ergänzt eine Frau. “Ich werde mit ‘Ja’ stimmen”, sagt ein Mann, der vor einer Bank wartet, um Geld abheben zu können. “Dann bist Du kein Grieche”, giftet ihn eine Frau an.

Düstere IWF-Prognose: Griechenland braucht zusätzlich 50 Milliarden Euro
Kann es Griechenland allein schaffen? Im Kern dreht sich alles um die Frage: Kann Griechenland auf sich alleine gestellt endlich die Wende zum Besseren schaffen, oder kann das nur innerhalb der Europas gelingen. Egal, wie sie abstimmen werden: Viele sind davon überzeugt, dass ein Austritt aus der Eurozone auch zu einem Verlassen der Europäischen Union führen wird.
Die einen wünschen das, andere fürchten das, anderen ist es egal. “Die Kreditgeber haben uns zugrunde gerichtet”, sagt ein Mann. Von Demütigung redet er, von Erpressung. Damit spricht er vielen Griechen aus der Seele. “Alleine die Erpressung der Gläubiger ist schon Grund genug, mit ‘Nein’ zu stimmen”, sagt ein anderer. Ein Plakat, dass für ein Nein wirbt, bringt die Stimmung auf den Punkt: Wolfgang Schäuble ist darauf zu sehen. “Fünf Jahre hat er Blut gesaugt. Jetzt sage ihm NEIN”, steht da. So denken hier viele.
Aber nicht alle. Diese Rhetorik finden auch viele Unterstützer der griechischen Regierung für unangemessen. Doch sie sagen: Ein von außen erzwungener, überzogener Sparkurs habe dem Land schwer zugesetzt. Sie verweisen auf einen Wirtschaftseinbruch von 25 Prozent, hohe Arbeitslosigkeit, Lohn- und Rentenkürzungen. “Wir leiden seit fünf Jahren, und es gibt keine Hoffnung, dass es besser wird”, sagt ein Mann.
Wie in Zeiten des Bürgerkriegs “Ich stimme doch nicht mit “Ja”, weil ich Sparprogramme toll finde”, sagt eine junge Frau. “Aber mit der Drachme wird alles noch schlimmer.” So argumentieren die meisten der Griechen, die am Sonntag wie sie entscheiden werden. “Mit dem Grexit werden wir ein Balkan-Land”, sagt ein Arzt. Den Sparkurs hält auch er für katastrophal.
Die von Syriza angeführte griechische Regierung trägt nicht gerade dazu bei, die Spaltung in der Gesellschaft zu überwinden. Im Gegenteil. Viele Griechen fühlen sich in die Zeiten des Bürgerkriegs zurückversetzt. Wer sieht, wie sich Politiker verschiedener Parteien bei Diskussionsrunden im Fernsehen anschreien, bekommt eine Ahnung davon, wie groß der Druck ist, der auf vielen Griechen lastet. Die Schlangen vor den Geldautomaten, die Hamsterkäufe in den Supermärkten, die Tankstellen ohne Benzin, das alles scheint unwirklich – und ist doch absurde Realität.
Das letzte Referendum gab es 1974 in Griechenland. Damals, nach dem Ende der Junta, mussten sich die Griechen zwischen Republik und Monarchie als Staatsform entscheiden. “Ich fühle mich genauso wie damals”, sagt eine Medizin-Professorin nun.


„Oxi „- „NEIN“ – „NO“ zur Sparpolitik! – Ja zur Demokratie!

Solidarität mit den Menschen in Griechenland!

Am Wochenende haben die EU, der IWF und die EZB die Verhandlungen mit Griechenland über weitere Kredite scheitern lassen. Die griechische Regierung unter der linken Partei Syriza hat daraufhin in demokratischer Tradition ein Referendum (Volksabstimmung) für Sonntag 5.7. angesetzt. In diesem Referendum wird die griechische Bevölkerung darüber abstimmen ob sie das erneute Spar- und Steuererhöhungsdiktat der EU annehmen will oder nicht.
Die griechische Regierung ruft dabei dazu auf, mit Nein (gr. Oxi) zu stimmen und so ein deutliches Zeichen gegen die drastische Kürzungspolitik und Sparmaßnahmen besonders im sozialen Bereich durch die Institutionen/Troika zu setzen. Maßgeblicher Akteur beim Scheitern der Verhandlungen war die CDU/SPD Regierung der Bundesrepublik Deutschland.
Die wirtschaftliche und soziale Situation in Griechenland ist nach den EU- und IWF- Spardiktaten der letzten Jahre verheerend. Es gibt höhere Staatsschulden und gestiegene Arbeitslosigkeit, stark gekürzte Löhne und Renten. Krankenhäusern fehlen Medikamente zur Behandlung. Obwohl die Sparmaßnahmen ihr Ziel verfehlten, sollen sie weitergehen. Shit and Bullshit
Nach der Ankündigung des Referendums brach in den bundesdeutschen Medien und von den Regierungsparteien ein neuer Shitstorm über Griechenland herein. Da wurde von Verrat und Undankbarkeit geredet und behauptet, dass die Regierung Tsipras sich feige hinter dem Volk verstecke, statt selbst Verantwortung zu übernehmen (so sinngemäß der deutsche EU-Parlamentsvorsitzende Martin Schulz). Ja, das ist das Demokratieverständnis unserer Herrschenden. Alles Bullshit: Das Gegenteil ist der Fall. Die griechische Regierung hatte gegenüber den Institutionen schon weitgehende Zugeständnisse gemacht. Vielen in Griechenland gehen sie zu weit. Aber vielen EU Länder Regierungen – allen voran der BRD-Regierung – geht es auch gar nicht mehr um ein Verhandlungsergebnis. Es scheint, dass eine demokratisch gewählte linke Regierung gestürzt werden soll, um mögliche weitere Linksregierungen in Europa zu verhindern. Denn auch in anderen EU-Ländern – z. B. in Spanien Podemos – erleben linksalternative Projekte großen Zuspruch in der Bevölkerung und erzielen als neue Parteien erste Wahlerfolge.
Protest and Action
Europa- und bundesweit finden deshalb in dieser Woche Solidaritätsaktionen mit den Menschen in Griechenland statt. In der BRD gibt es Kundgebungen und Demonstrationen und andere kreativen Aktionen unter anderem in Berlin, Stuttgart, Frankfurt am Main, Hamburg und auch hier in Köln! Der Protest richtet sich gegen die fatale Politik der Bundesregierung von Bundeskanzlerin Merkel (CDU) und Wirtschaftsminister Gabriel (SPD).
Sowohl bei Verdi als auch im DGB insgesamt regt sich erfreulicherweise Widerstand gegen die harte Haltung der bundesdeutschen Regierung. Überall werden die Parteibüros von SPD und CDU besucht, so auch in Köln. Unsere Forderungen: Die griechische Bevölkerung muss selbstbestimmt handeln können, die Wahl der Regierung von Syriza und das Referendum am Sonntag sind demokratisch legitimiert. Es geht um die Verhinderung weiterer Privatisierungen, weiterer Lohn- und Renten- kürzungen. Armut, Angst und Erpressungspolitik sollen Europa nicht weiter beherrschen… Wir sagen Ja zu Demokratie und Solidarität in Europa.

„Überall ist „OXI“! – Alle sagen Nein!
Unsere Solidarität gegen ihre Politik der Angst“

Griechenland Solidarität Komitee Köln und Blockupy Köln V.i.S.d.P.: Alexis Sorbas, Luxemburger Str. 93, 50674 Köln


Dieser Beitrag hat 5 Kommentare

  1. Thomas Jurk (Übernahme von n-tv.de)

    17.07.2015 11:51
    SPD hat zwei Abweichler. Warum stimmen Sie mit Nein, Herr Jurk?

    Der SPD-Haushaltsexperte Thomas Jurk (1) ist einer von nur zwei Abgeordneten, die heute im Bundestag mit Nein stimmen. Die bisherigen Hilfspakete hätten ihr Ziel nicht erreicht, das jetzt geplante dritte Programm sei nur eine Fortsetzung dieser Politik, sagt er.

    n-tv.de: Warum sind Sie gegen die Verhandlungen über ein drittes Kreditprogramm für Griechenland?

    Thomas Jurk: Ich glaube, dass man sich mit dem dritten Hilfspaket eigentlich nur Zeit kauft. Griechenland hat enorme finanzielle Schwierigkeiten. Bei der Abstimmung geht es ja nicht nur darum, der Bundesregierung ein Mandat für die Aufnahme von Verhandlungen zu geben, sondern dieses Mandat ist an klare Bedingungen geknüpft. Das orientiert sich vor allem an der Frage, wie Griechenland mit Geld versorgt wird und zu welchen Konditionen. Mir fehlen einfach die Impulse für Wachstum und Beschäftigung. Wir müssen ja auch zur Kenntnis nehmen, wie die bisherigen Pakete gewirkt haben. Von daher glaube ich, wäre ein Paradigmenwechsel angezeigt gewesen.

    n-tv.de: In welche Richtung hätte der gehen sollen?

    Thomas Jurk: Meiner Ansicht nach wäre eine stärkere Betonung der sozialen Komponente, der Wirtschaft und Infrastruktur richtig.

    n-tv.de: Was halten Sie von dem Grexit-Szenario, das Finanzminister Schäuble aufgebaut hat?

    Thomas Jurk: Davon halte ich nichts. Man sollte im Rahmen des bisherigen Konsenses weiterhin Solidarität mit Griechenland üben. Sicher hat die griechische Regierung Fehler gemacht – das ist völlig klar, und dadurch ist die Situation auch nicht besser geworden. Aber zu meinen, dass man mit einer Fixierung auf die Frage, wie Griechenland haushaltspolitisch auf die Beine kommt, greift zu kurz. Ich würde eher fragen, wie die griechische Volkswirtschaft stabilisiert beziehungsweise überhaupt erst aufgebaut werden kann. Ich glaube nicht, dass man mit einer Mehrwertsteuererhöhung – auch im Tourismus, wo sie völlig kontraproduktiv ist – oder mit weiteren Rentenkürzungen das Land voranbringt.

    n-tv.de: Wie waren die Reaktionen in Ihrer Fraktion gestern Abend, als Sie und Peer Steinbrück Ihr Nein angekündigt haben?

    Thomas Jurk: Sie werden verstehen, dass es da wenig Beifall gab. An der Sitzung hat nicht nur EU-Parlamentspräsident Martin Schulz teilgenommen, sondern auch Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem [der niederländischer Sozialdemokrat ist, Anm. d. Red.]. Entsprechend war die Atmosphäre. Andererseits bin ich 1989 in der ehemaligen DDR sehr bewusst in die SDP [die im Oktober 1989 gegründete sozialdemokratische Partei in der DDR] eingetreten, damit ich meine Meinung sagen kann. Und an der Stelle war es mir wichtig, deutlich zu machen, dass die bisherigen Hilfspakete nicht ihr Ziel erreicht haben und das jetzt geplante Hilfspaket nur eine Fortsetzung ist. Auch wenn ich anerkenne, dass einzelne richtige Schritte darin enthalten sind, ist die Richtung generell doch dieselbe geblieben.

    n-tv.de: Berichten zufolge herrschte in der gestrigen Sitzung der SPD-Fraktion eine eisige Stimmung. Die Unionsfraktion hatte bei ihrer Probeabstimmung 48 Nein-Stimmen und drei Enthaltungen und geht damit sehr viel entspannter um. Wieso ist der Ärger bei Ihnen so groß über zwei Abweichler?

    Thomas Jurk: Da müssen Sie die fragen, die die Stimmung so empfunden haben. Ich fand sie nicht eisig, ich fand sie angemessen angesichts dieses schwierigen Themas.

    Mit Thomas Jurk sprach Hubertus Volmer

    (1)Thomas Jurk ist Haushaltsexperte der SPD im Bundestag. Von 2004 bis 2009 war er Wirtschaftsminister in Sachsen.

  2. Hannes Vogel (Übernahme von n-tv.de)

    14.07.2015 17:14 Folgen des Greekment
    Die eiserne Kanzlerin spaltet Europa
    Ein Kommentar von Hannes Vogel

    Mit der Demütigung Athens hat Angela Merkel nicht nur Deutschlands Ansehen schwer beschädigt. Im Schuldenstreit nimmt sie die Spaltung Europas in Kauf. Ihr neues Rezept gegen die Krise lautet: friss oder stirb.

    Hätte man Angela Merkel nur am Montagabend zugehört, hätte man meinen können, der Kanzlerin seien europäische genauso wichtig wie deutsche Interessen. “Bei allen Herausforderungen dürfen wir nicht aus dem Blick verlieren, welch großer Schatz die Idee der europäischen Einigung ist. Die Fähigkeit zum Kompromiss gehört zu den großen Stärken Europas”, sagte sie beim Botschafter-Empfang im Kanzleramt.

    Genau diese Fähigkeit fehlte der Kanzlerin am Montagmorgen, bei der Einigung mit Griechenland. Mit der bedingungslosen Unterwerfung hat sie Griechenland gedemütigt. Ein Staatsstreich, wie viele Twitter-User unter dem Hashtag #thisisacoup behaupten, war das zwar nicht. Auch die deutschen Wähler haben ein Recht darauf, dass ihr Wille im Schuldenstreit respektiert wird. Doch wie brachial Angela Merkel deutsche Interessen durchgedrückt hat, ist ein Tabubruch. Sie behandelt die Griechen wie ein besiegtes Volk. Nicht nur für Deutschlands Ansehen ist das verheerend. Viel schwerer wiegt: Die eiserne Kanzlerin nimmt für ihren Machterhalt bewusst die Spaltung Europas in Kauf.
    Ihr Finanzminister Wolfgang Schäuble stellte den Hellenen ein brutales Ultimatum: Entweder ihr gebt euren Widerstand gegen die Sparpläne auf. Oder ihr fliegt für mindestens fünf Jahre raus aus dem Euro. Athen blieb nur die bedingungslose Kapitulation. “Eine Katastrophe für Europa” nannte Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn Schäubles Grexit-Plan. Als “entwürdigend” bezeichnete ihn Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann. Und Frankreichs Präsident Francois Hollande mahnte: “Ein Grexit würde bedeuten, dass Europa sich rückwärts bewegt. Ich möchte das nicht”.
    Friss oder stirb
    Bei Merkel kann man sich da seit dem Wochenende nicht mehr so sicher sein. Zum ersten Mal hat sich Deutschland für weniger Europa eingesetzt, statt für mehr. Das ist das eigentlich Fatale an der Einigung. Statt dem todkranken Patienten rettende Medizin zu geben, hat die Kanzlerin ihn noch an die Wand gedrückt und ihm sein letztes Hemd abgepresst.
    Oder wie soll man das sonst nennen, was sie Griechenland da mit dem Privatisierungsfonds diktiert hat? Was würden die Deutschen sagen, wenn die Griechen kämen und sagten: “Verkauft mal zackig den Hamburger Hafen! Im Zweifel zum Schleuderpreis, aber dalli! Das Geld habt ihr bei uns abzuliefern!” Am Sonntag hat Merkel einem ganzen Volk das Tafelsilber gepfändet.
    Ein Hauch von Versailles liegt in der Luft. Eine Politik kehrt zurück, die in Europa längst in die Mottenkiste verbannt schien: das Recht des Stärkeren. Es ist kein Zufall, dass Schäuble ausgerechnet in der Runde der 19 Euro-Finanzminister ein Exempel an Athen statuiert hat. Es war ein Warnschuss für alle anderen Länder, gar nicht erst zu versuchen, aufzumucken. Friss oder stirb, das ist das Rezept, mit dem die Kanzlerin Europa nun zusammenhält.
    Ein in fatales Signal der Schwäche
    Merkel und Schäuble machen sich damit nicht nur zu genau den geschmacklosen Karikaturen, die die irrsten Spinner in Griechenland schon immer von ihnen gezeichnet haben. Sie verschließen weiter die Augen vor der Wirklichkeit. Die griechische Wirtschaft wird dieses Jahr schrumpfen. Trotzdem soll Athen Haushaltsüberschüsse abliefern. Sie beleben den Patienten wieder, amputieren ihm zugleich ein Bein und verlangen, dass er den Weltrekord im Hundert-Meter-Lauf bricht.
    Was nützt es, die Griechen so zu bestrafen? Ja, sie haben es selbst verbockt. Ja, es ist unerträglich, wie die Syriza-Regierung die Geldgeber als Terroristen beschimpft und erwartet, dass sie trotzdem ihre Rechnung bezahlen. Aber Rache darf im geeinten Europa kein Motiv für Politik sein. Daran, wie der Stärkere mit dem Schwächeren umgeht, zeigt sich der wahre Charakter.
    Die Kanzlerin sendet ein Signal der Schwäche. Sie würgt den Motor der Integration ab, die deutsch-französische Einheit. Wie soll die EU mit der Ukraine-Krise fertigwerden, wenn sie nicht mal ein Problem wie Griechenland in den Griff bekommt? Wenn sie schon die Griechen erpressen muss, wie will sie dann erst die Briten überzeugen, in der EU zu bleiben? Niemand sollte den deutschen Sieg über Athen bejubeln. Merkels Machtwort ist eine schwere Niederlage für Europa. Als Deutscher muss man sich dafür schämen.

  3. Heiner Flassbeck (Übernahme aus n-tv.de)

    Montag, 13. Juli 2015 – Maßnahmenpaket für Griechenland –

    “Wir sind unfähig zu lernen”

    Das unter deutscher Federführung geschnürte Maßnahmenpaket für Griechenland ist zum Scheitern verdammt. Davon ist Heiner Flassbeck überzeugt. “Doch gegen die Intuition der schwäbischen Hausfrau geht in Deutschland nichts”, so der Ökonom im n-tv.de Interview.

    n-tv.de: Ist die in Brüssel gefundene Einigung im Schuldenstreit mit Griechenland ein Befreiungsschlag?

    Heiner Flassbeck: Ich wüsste nicht, für wen das ein Befreiungsschlag sein sollte. Man verabschiedet ein restriktives Maßnahmenpaket für ein Land, das in einer tiefen Depression steckt. Das ist Heinrich Brüning hoch zwei. Das ist eine scheinbare Befreiung für einen kurzen Moment. Aber in drei, vier Monaten werden wir die gleiche Frage wieder diskutieren, weil dieses Programm zum Misserfolg verdammt ist.

    n-tv.de: Diskutieren wir dann in drei bis vier Monaten auch wieder den “Grexit”?

    Heiner Flassbeck: Ich halte überhaupt nichts von dieser Grexit-Diskussion. Griechenland will keinen Grexit, Griechenland will vernünftige Bedingungen. Ein Grexit ist auch nicht so einfach, wie immer getan wird. Der Ausstieg aus einer Währungsunion ist ein extrem schwieriger, politischer Prozess. Vielleicht katastrophal. Warum man Griechenland zutraut, das einfach über Nacht zu bewerkstelligen, weiß ich nicht. Ich hoffe immer noch, auch wenn ich es langsam nicht mehr glaube, dass die deutsche Seite irgendwann zur Vernunft kommt. Aber diese Hoffnung ist wohl vergeblich.

    n-tv.de: Abgesehen davon, dass Sie das Gesamtpaket ablehnen: Wo sehen Sie die größten Fallstricke in der jetzt gefundenen Einigung?

    Heiner Flassbeck: Ich möchte hier nicht auf die Einzelheiten eingehen, aber das ganze Paket beinhaltet die üblichen Restriktionsmaßnahmen. Das ist Neoliberalismus pur. Genau das Gegenteil dessen, was das griechische Volk wollte. Zudem ist es auch ökonomisch falsch. Es ist ein Restriktionspaket in einer Situation, in der das Land dringend ein Expansionspaket bräuchte. Mit solchen Maßnahmen wird Griechenland nicht wie Phönix aus der Asche steigen, es wird weiter schrumpfen. Und wenn das Land weiter schrumpft, werden seine Schulden noch größer, das hatten wir ja alles schon. Vor fünf Jahren haben die Gläubiger ein Programm beschlossen und das Ergebnis war eine schlichte Katastrophe. Aber wir sind völlig unfähig, zu lernen. Stattdessen sagen wir, die Griechen sind schuld, die Griechen haben nichts umgesetzt, die Griechen haben keine Reformen gemacht. Das ist eine glatte Lüge. Griechenland hat reformiert, Griechenland hat seine Löhne dramatisch gekürzt, es hat aber alles nichts geholfen, sondern direkt in die Katastrophe hineingeführt.

    n-tv.de: Um doch noch mal einen Punkt aus dem Maßnahmenpaket herauszugreifen: Wie beurteilen Sie die Idee des Privatisierungsfonds?

    Heiner Flassbeck: Das ist das deutsche Treuhandmodell. Man nimmt Griechenland sein Volksvermögen weg, um es vielleicht zu verschleudern. Wer hat denn da Kontrolle darüber, zu welchem Preis verkauft wird? Das ist ungeheuerlich, dass die Griechen das mit sich machen lassen. Aber wenn einer eine Pistole am Kopf hat, lässt er vieles mit sich machen. Ob das irgendwie zu einem Erfolg führt, weiß keiner. Denn man kann nicht schnell privatisieren, ohne große Verluste zu machen. Das hätten wir auch lernen können aus der deutschen Treuhand. Hier wurden Sachen für nichts verkauft, die Treuhand hat noch Geld dazugegeben, nur damit sie das Zeug schnell loswurde. Das ist doch keine Lösung für eine wirtschaftliche Zukunft.

    n-tv.de: Was wären denn aus Ihrer Sicht die richtigen Schritte?

    Heiner Flassbeck: Wir verkürzen derzeit die ganze Diskussion auf Griechenland. Aber alle Länder in Europa brauchen expansive Impulse. Die können aber nach Lage der Dinge nur von denen Staaten kommen, die Überschüsse in ihrer Leistungsbilanz haben und die Gläubigerstaaten sind – also in erster Linie Deutschland. Die europäische Wirtschaft stagniert seit vier Jahren, die Arbeitslosigkeit ist extrem hoch. Worauf warten wir eigentlich noch? Auf ein Wunder, welches das Wachstum ankurbelt? Weil wir an drei kleinen Schräubchen gedreht haben und das Strukturreform nennen? Das ist vollkommen lächerlich! Selbst Länder mit wunderbaren Strukturen wie Deutschland haben kein Wachstum. Das hiesige Wachstum ist nur geliehen aus dem Ausland. Wir brauchen einen Leistungsbilanzüberschuss von acht Prozent im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt, um vielleicht um 1,5 Prozent wachsen zu können. Das ist absurd. Mit einer solchen Politik wird Europa zugrunde gerichtet.

    n-tv.de: Aber die Politik wird sich gegen expansive Impulse sträuben. Denn expansive Impulse sind nichts anderes als noch mehr Geld, das überwiesen wird.

    Heiner Flassbeck: Sagen Sie ruhig das Wort: Schulden. Natürlich. Es gibt kein Wachstum ohne Schulden. Das ist ja die grandiose Dummheit der deutschen Politik, dass man glaubt, man könne Wachstum ohne Schulden haben. Deutschland braucht in diesem Jahr über 200 Milliarden Euro Schulden für sein bisschen Wachstum. Aber die Schulden müssen im Ausland gemacht werden, das ist die deutsche Logik. Das kann aber nicht funktionieren, wenn wir gleichzeitig das Ausland für Pleite erklären. Irgendjemand muss immer Schulden machen, wer wachsen will, muss investieren. Wenn man das begreifen würde in Berlin, dann gäbe es Hoffnung. Aber anscheinend ist das viel zu kompliziert und anspruchsvoll.

    n-tv.de: Kompliziert ist dieser Gedanke vor allem für Steuerzahler. Gerade der deutsche Steuerzahler hat ja das Gefühl, vorrangig für die Schuldenberge anderer zahlen zu müssen.

    Heiner Flassbeck: Das ist ja sowieso Käse. Ob da irgendwann mal etwas zurückgezahlt wird, hängt ja vor allem von dem Erfolg der Politik ab. Wenn wir solche Politik machen, wie jetzt mit diesem Maßnahmenpaket, dann wird irgendwann die Rechnung gestellt, in der Tat. Deswegen muss man gegen die Intuition der schwäbischen Hausfrau expansive Politik betreiben, damit man erfolgreich sein kann. Aber gegen die Intuition der schwäbischen Hausfrau geht in Deutschland leider nichts.

    n-tv.de: Die Argumentation ist, dass Deutschland es doch auch geschafft hat, ordentlich zu sparen.

    Heiner Flassbeck: Das stimmt eben nicht. Wir verlassen uns auf die Schulden des Auslandes. Das muss in Deutschland doch mal in die Hirne hinein.

    Mit Heiner Flassbeck (*) sprach Samira Lazarovic (Quelle: n-tv.de)

    (*) Heiner Flassbeck war von 2003 bis 2012 Chefvolkswirt der UN-Organisation für Welthandel und Entwicklung, UNCTAD. Zuvor war er Finanz-Staatssekretär unter Oskar Lafontaine.

  4. Paul Breuer

    Ich habe mich bemüht den Artikel ausgewogen zu gestalten. Es hat mich ehrlich etwas gewundert, dass nur ein Kommentar eingegangen ist. So möchte ich denn über die Kommentarfunktion einige Thesen kundtun um die Diskussion etwas anzuregen.
    Ich habe Sorge, dass Europa nur noch auf das Thema Finanzen reduziert wird. Europa muss mehr sein. Mit der Finanz- und Wirtschaftsmacht Deutschland können die kleineren Länder nicht mithalten. Folglich wird Deutschland immer mächtiger und die kleineren Länder immer schwächer. Meiner Meinung nach müssen wir in Europa zu gleichen Sozial- und Lohnstandarts kommen. Europa muss demokratischer werden. Banken sollten sich auf ihre eigentliche Funktion beschränken, Kredite zur Verfügung stellen. Hochbrisante Geschäfte, die dann wieder einmal zu Bankenrettung mit Steuermitteln führen, sollten untersagt werden. Es kann doch nicht sein, dass man wirtschaftsschwachen Ländern wie Portugal, Irland und nun auch Griechenland, über die Kreditvergabevereinbarungen (Lohnkürzung, Rentenkürzung, Sozialabbau, zu hohe Zinsen und zu kurze Laufzeiten) in die Depression zwingt. Die Probleme können doch nicht ernsthaft nur so gelöst werden, indem man große Teile der Bevölkerung in diesen Ländern die Zeche alleine bezahlen lässt und in die Armut stürzt. Kleine reiche Teile der Bevölkerung aber finanziell unbelastet lässt. Ich persönlich fand das Abstimmungsergebnis in Griechenland postiv. Nun ist allerseits Nachdenken und umsteuern gefragt. Mein Wunsch für Griechenland ist ein teilweiser Schuldenerlass, Senkung der Zinsen, Streckung der Laufzeit, eine Zinszahlungspause und vor allem ein kräftiges Konjunkturprogramm, was den Menschen und der Wirtschaft zugute kommt und NICHT nur den Banken. Ich wünsche mir auch die Hilfe der EU Banken, die Kapitalflucht (Geldtransfer) von Griechenland ins Ausland offen zu legen und bei der Rückführung zu helfen.

  5. Thomas

    Es bleibt abzuwarten, wie sich das ganze Thema jetzt noch entwickeln wird. Ganz klar ist, hier muss eine Lösung her, um auch in Zukunft die EU Länder vor einer Schuldenkrise zu schützen.

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